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Ann's Pub
Ein Dokumentarfilm von Thabea Furrer, 26 Min., CH, 2021
Director's Note
Im Februar 2017 stosse ich auf einer Irlandreise ganz zufällig auf das Flannery’s. Ich bestaune den reich gemusterten Teppich und die im privaten Hinterzimmer auf dem Sofa schlafende Hündin und treffe auf eine gemütliche Runde von Stammgästen. Ann, die Wirtin, grüsst mich skeptisch. Ich bestelle ein kleines Guinness, habe jedoch alsbald ein ganzes Pint vor mir stehen. Die Stammgäste laden mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Als ich am nächsten Abend zum Konzert der hauseigenen Bluesband wieder am Tresen Platz nehme und, wie Ann bemerkt, als einzige Frau bis zur letzten Stunde im vertrauten Kreis der Stammgäste sitzen bleibe, ist das Eis gebrochen.
Ich war mit einer vagen Filmidee durch Irland gereist, um ein Pub zu suchen, das mehr ist als eine blosse Gaststätte, ein Lokal, das im täglichen Leben der darin verkehrenden Menschen eine wichtige soziale Funktion hat. Wo die persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen vor und hinter dem Tresen gepflegt werden und dadurch eine ganz eigene Atmosphäre entsteht. Ebendiese Atmosphäre wollte ich im Film spürbar machen.
Mit dem Flannery’s und dessen ausserordentlichen Wirtin, der leidenschaftlich aufspielenden Bluesband und der verschworenen Stammkundschaft hatte ich den Ort und die Menschen gefunden, mit denen ich meinen Dokumentarfilm realisieren wollte. Allen voran hat Ann mich in ihren Bann gezogen: Ihr entschiedenes und humorvolles Auftreten, ihr respektvoller Umgang auch mit unangenehmen Gästen und Situationen und ihre unermüdliche Energie und Ausdauer beeindruckten mich. Nach und nach wuchs das Vertrauen zwischen uns so, dass ich auch ihre sensible, fragile Seite kennen lernte. Ich beobachtete, wie Ann persönliche Schwierigkeiten überspielte und Unsicherheiten – von denen mir manche selbst vertraut waren – kaschierte und immer wieder über ihren Schatten sprang, um voll für ihre Gäste da zu sein. Dank ihres Wirkens ist das Flannery’s ein Ort der Geborgenheit. Die Gäste sind ihre Freunde und Lebensbegleiter, was auch Ann im Umgang mit ihren inneren Kämpfen hilft.
Ich ahnte, dass mir bei Ann und den Gästen viel Vertrauensarbeit bevorstand, um den Film zu realisieren. So besuchte ich das Flannery‘s während zwei Jahren wiederholt, verbrachte viele Stunden im Pub und wurde allmählich zu einem Teil der verschworenen Gemeinschaft der Stammgäste. Ich entschied mich, auf ein Filmteam zu verzichten und Kamera und Ton selber zu machen, um eine maximale Vertrauensbasis und Nähe zu den Menschen und zu ihrem Puballtag zu erarbeiten.
Die für Ann, das Pub und die Gäste einschneidenden Ereignisse während der Drehzeit, prägten die Dramaturgie des Films. Wie die Gäste auf die unerwarteten Entwicklungen reagierten, zeigt für mich beispielhaft den Zusammenhalt der Menschen im Flannery’s – eine Art von Raum, die ich immer seltener antreffe, wo die Menschen und nicht die kommerziellen Interessen im Vordergrund stehen.
Thabea Furrer